Der Weg vom Hamburger Autodidakten zur internationalen Blues-Piano-Legende
Henning Pertiet, geboren 1965 in Hamburg, ist einer der führenden Boogie-Woogie- und Blues-Pianisten Europas und prägt seit über 35 Jahren die deutsche Musikszene. Der in Verden (Aller) lebende Musiker verkörpert wie kaum ein anderer die Verschmelzung von traditionellem Boogie-Woogie mit modernem Jazz und experimenteller Musik. Als Gewinner des German Blues Award 2017 in der Kategorie „Bester Pianist“ hat sich Pianist Henning Pertiet international einen Namen gemacht und gilt heute als zentrale Figur der europäischen Boogie-Woogie-Szene.
Die späte musikalische Erweckung eines Autodidakten
Henning Pertiets Weg zum professionellen Musiker begann ungewöhnlich spät. Aufgewachsen in Wohltorf und Reinbek bei Hamburg, entdeckte er erst im Alter von 23 Jahren seine Leidenschaft für das Boogie-Woogie-Piano. Eine Schallplatte von Axel Zwingenberger wurde zum Schlüsselerlebnis, das sein Leben veränderte. Als musikalischer Autodidakt lernte Pertiet die Grundlagen direkt von seinen Vorbildern – neben Zwingenberger prägten ihn Jo Bohnsack, Joja Wendt und besonders sein Onkel Gottfried Böttger, der als NDR-3-Pianist und Komponist der „3nach9“-Titelmelodie selbst eine Größe der deutschen Musikszene war.
Diese späte, aber intensive Hinwendung zur Musik entwickelte sich zu einer bemerkenswerten Karriere. Pertiet spielt ausschließlich aus einem tiefen Gefühl, welches mit den Ohren gut verbunden ist – eine Philosophie, die seinen unverwechselbaren spannend-entspannten Piano-Sound prägt. Seine musikalischen Einflüsse reichen von den klassischen Boogie-Woogie-Meistern wie Jimmy Yancey, Meade Lux Lewis und Albert Ammons über Blues-Legenden wie Otis Spann bis zu Modern-Jazz-Größen wie Thelonious Monk, Keith Jarrett und Esbjörn Svensson.
Der Durchbruch mit der Mojo Blues Band
Den entscheidenden Karriereschritt machte Henning Pertiet 1993, als er auf Empfehlung von Axel Zwingenberger Pianist der legendären österreichischen Mojo Blues Band wurde. Vier Jahre lang, von 1993 bis 1996, tourte er als festes Bandmitglied durch ganz Europa und veröffentlichte mehrere Alben beim Major-Label EMI Austria. Diese Zeit prägte ihn nachhaltig und etablierte ihn in der internationalen Blues- und Boogie-Woogie-Szene. Die Zusammenarbeit mündete in erfolgreiche Alben wie „Blues Roll On!“ (1993) und „Rhythm & Blues Party“ (1996), letzteres aufgenommen mit dem amerikanischen Jazz-Saxophonisten Red Holloway.
Die einzigartige Duo-Partnerschaft mit Micha Maass
Seit 2003 bildet Henning Pertiet ein kongeniales Duo mit dem Schlagzeuger Micha Maass, der als einer der gefragtesten Boogie-Woogie-Drummer überhaupt gilt. Diese über 20-jährige Partnerschaft ist die längste und wichtigste musikalische Kollaboration in Pertiets Karriere. Gemeinsam haben sie eine Gemeinsamkeit und Tiefe erreicht, die in einer derartigen Besetzung schwer zu erlangen ist. Das Duo Pertiet-Maass tourte viele Jahre durch ganz Europa und veröffentlichte mehrere Live-Alben, darunter „Boogie Woogie Live 2003“ und zuletzt 2023 „Blues ’n‘ Boogie (Live @ Meisenfrei Bluesclub, Bremen)“.
Für diese minimale Besetzung wird von Kritikern eine ungewöhnliche Tiefe bescheinigt. Micha Maass bezeichnet Henning Pertiet als den „Thelonious Monk der deutschen Blues & Boogie-Szene“ – eine Charakterisierung, die Pertiets Hang zu schrägen Klängen und unkonventionellen Harmonien unterstreicht.
Eine beeindruckende Diskographie über drei Jahrzehnte
Henning Pertiets umfangreiche Diskographie umfasst über 30 Alben und dokumentiert seine musikalische Evolution. Nach seiner ersten Solo-CD „Boogie Woogie“ (1996) folgten kontinuierlich Veröffentlichungen auf renommierten Labels wie Stormy Monday Records, Styx Records und seinem eigenen Label Pertiet Records. Besondere Meilensteine sind die Zusammenarbeit mit seinem Onkel Gottfried Böttger auf dem Album „Family Boogie“ (2017) – Böttgers letzte CD-Veröffentlichung vor seinem Tod – sowie die experimentelle Produktion „Chaosmagic“ (2018) mit Kai Niggemann als elektronisches Duo GRAT, die es auf die Longlist des Deutschen Schallplattenpreises 2019 schaffte.
Zum 35-jährigen Bühnenjubiläum 2024 veröffentlichte Pertiet die Doppel-CD „Music Is My Business – 35 Years of Blues & Boogie Woogie“, auf der er erstmals auch als Sänger zu hören ist. Diese Entwicklung vom reinen Instrumentalisten zum singenden Performer seit 2022 zeigt seine kontinuierliche künstlerische Weiterentwicklung.
Ein Virtuose zwischen Tradition und Experiment
Was Henning Pertiet von anderen Boogie-Woogie-Pianisten unterscheidet, ist seine stilistische Bandbreite und Experimentierfreude. Er hat schon lange die Pfade des reinen Boogie-Players verlassen und verbindet Blues und Boogie-Woogie ohne Trennschärfe fließend miteinander. Seine Finger-Virtuosität verwandelt sich in Emotionalität, Ausdruckskraft und Dramatik, wie Musikkritiker attestieren.
Seit 2001 beschäftigt sich Pertiet intensiv mit freier Improvisation, inspiriert durch Keith Jarretts legendäres „Köln Concert“. Diese Entwicklung führte zu bemerkenswerten Projekten: Seit 2013 gibt er regelmäßig frei improvisierte Orgelkonzerte in Kirchen, darunter im Verdener Dom. Unter dem Pseudonym „Teitreph“ produziert er experimentelle elektronische Musik mit Synthesizern, Grooveboxen und dem legendären Buchla 200e Modular-System. Diese Vielseitigkeit – Piano, Orgel, Synthesizer, seit 2022 Gesang und seit 2023 auch Gitarre – macht ihn zu einem wahren Multitalent.
Henning Pertiet als Live-Performer und Festival-Star
Henning Pertiet ist ein äußerst aktiver Live-Musiker mit einem dichten Konzertkalender. Als regelmäßiger Gast bei der Hamburg Boogie Woogie Connection in der Fabrik Hamburg – dem weltweit längsten Festival dieser Musik – trat er bereits 1996, 2008, 2012, 2018 und 2022 auf, mit einer weiteren Teilnahme geplant für August 2025. Seine Tourneen führen ihn von Flensburg bis Bayern, mit regelmäßigen Auftritten in renommierten Venues wie dem Wiener Jazzland, dem Berliner Yorkschlösschen und dem Zürcher Stadthofsaal.
Zu den Höhepunkten seiner Festival-Auftritte zählen das Mississippi Blues & Barbecue Festival Berlin, das Blue Wave Festival Rügen (das er 1997-1998 mitorganisierte), das Jüterboogie Festival und internationale Events wie die Vienna Blues Spring. Seine Zusammenarbeit mit amerikanischen Blues-Legenden wie Louisiana Red, Little Willie Littlefield und Big Jay McNeely unterstreicht seine internationale Reputation. 1998 erreichte sein Song „Take A Train, Train“ mit Red Holloway sogar 33 Wochen lang die Top 10 in South Carolina.
Innovation durch digitale Präsenz und moderne Medien
In der digitalen Ära hat sich Henning Pertiet erfolgreich neu erfunden. Sein wöchentlicher Livestream „Tuesday Is Bluesday!“ jeden Dienstag um 21:30 Uhr auf YouTube, Facebook, Instagram und Twitch erreicht ein internationales Publikum. Mit über 900 monatlichen Hörern auf Spotify und einer aktiven Präsenz auf allen relevanten Streaming-Plattformen bleibt er auch für jüngere Generationen zugänglich. Seine experimentellen Projekte veröffentlicht er auf Bandcamp und SoundCloud, wo er die Grenzen zwischen Boogie-Woogie, Jazz und elektronischer Musik weiter auslotet.
Musikalische Bildung und Klavierunterricht
Neben seiner Konzerttätigkeit engagiert sich Henning Pertiet in der musikalischen Bildung. In seinem Wohnort Verden bietet er Klavierunterricht für Kinder, Erwachsene und Senioren an, mit Schwerpunkt auf Blues & Boogie-Woogie, Pop und leichter Klassik. Sein besonderes Konzept „Entspannung und Stressabbau durch meditatives Klavierspiel“ richtet sich speziell an Erwachsene. Seine Unterrichtsphilosophie basiert auf „Hören und Fühlen lernen, Klang, Melodie und Rhythmus erleben, Spaß am Musik machen“ – ein Ansatz, der seine eigene autodidaktische Lernweise widerspiegelt.
Aktuelle Projekte und Zukunftsperspektiven 2024/2025
Im Jahr 2024/2025 ist Henning Pertiet aktiver denn je. Seine Solo-Tour „Henning Pertiet Plays And Sings The Blues! – 36 Years Of Blues & Boogie Woogie“ führt ihn durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Regelmäßige Duo-Konzerte mit Axel Zwingenberger unter dem Titel „Blues & Boogie Feuerwerk“ begeistern das Publikum in ausverkauften Sälen. Für 2025 sind bereits zahlreiche Auftritte geplant, darunter eine Tour mit dem Wiener Bassisten Tibor Grasser und Konzerte mit dem finnischen Musiker Jaska Prepula.
Das Spektrum seiner aktuellen Projekte reicht vom traditionellen European Blues & Boogie Trio mit Dani Gugolz (Bass, Zürich) und Peter Müller (Drums, Wien) über elektronische Experimente als „Teitreph“ bis zu spirituellen Orgelimprovisationen. Diese Vielfalt macht Henning Pertiet zu einem der vielseitigsten und innovativsten Musiker der deutschen Boogie-Woogie- und Blues-Szene.
Die Bedeutung von Henning Pertiet für die deutsche Musikszene
Henning Pertiet verkörpert wie kein anderer die erfolgreiche Verbindung von traditionellem Boogie-Woogie mit zeitgenössischen musikalischen Strömungen. Als German Blues Award-Gewinner und international anerkannter Pianist hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass die deutsche Boogie-Woogie-Szene auch im 21. Jahrhundert lebendig und innovativ geblieben ist. Seine über 35-jährige Karriere zeigt, dass es möglich ist, musikalische Traditionen zu respektieren und gleichzeitig neue Wege zu beschreiten.
Die Zusammenarbeit mit Micha Maass, seine experimentellen elektronischen Projekte als „Teitreph“, seine Orgelimprovisationen und seine digitalen Livestreams beweisen, dass Henning Pertiet nie aufgehört hat, sich musikalisch weiterzuentwickeln. Als Autodidakt, der erst mit 23 Jahren zum Piano fand, ist er ein inspirierendes Beispiel dafür, dass es nie zu spät ist, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen.
Von seinem Wohnsitz in Verden (Aller) aus koordiniert Henning Pertiet seine vielfältigen musikalischen Aktivitäten und bleibt dabei seiner Philosophie treu, die Musik aus einem tiefen Gefühl heraus zu spielen. Seine Geschichte vom späten musikalischen Erwachen zum international gefeierten Boogie-Woogie-Pianisten und German Blues Award-Gewinner inspiriert und zeigt, dass wahre Musikalität keine Altersgrenze kennt.